Wikinger: Ein Trend auf Mittelaltermärkten?

Viele unserer Mitglieder haben sich auf eine Darstellung aus der Zeit der Wikingern spezialisiert. Warum das so ist, hat einige Gründe, die in der Geschichte liegen.

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04. November 2018  /  Wissenswertes

Obwohl wir bei Unter freyem Banner uns nicht auf eine bestimmte Zeit der Darstellung einigen, haben sich viele unserer Mitglieder mit der Zeit auf die Darstellung von Wikingern festgelegt. Doch warum ist das so?

Klar – zum einen ist es einfach eine persönliche Vorliebe und damit könnte ich das Thema wohl auch schließen. Ich möchte aber ein wenig genauer erklären, warum doch so viele eben genau diese persönliche Vorliebe entwickeln.

Ausflug in die Geschichte

Schaut man sich das europäische Mittelalter einmal an, dann lässt es sich in Frühmittelalter, Hochmittelalter und Spätmittelalter gliedern.

Das Frühmittelalter in Mitteleuropa ist zum großen Teil schlecht dokumentiert. Es gibt wenig schriftliche Quellen und auch wenig Funde, auf die man zurückgreifen kann. Das erschwert die Darstellung natürlich ungemein, vor allem, wenn man Wert auf eine halbwegs historisch nachvollziehbare Darstellung legt.

Das Hochmittelalter ist deutlich besser dokumentiert – auch in Mitteleuropa. Jedoch gibt es hier einen großen Haken bei der historisch korrekten Darstellung: Um den zu verstehen, muss man sich die damalige Gesellschaftsstruktur ansehen.

Die Gesellschaft setzte sich im Hoch- und Spätmittelalter zu 98% aus Bauern, Handwerkern, Tagelöhnern und ähnlichen zusammen. Sie stellten denjenigen Teil der Gesellschaft, der für einfach alles sorgte, was für das tägliche Leben nötig war. Nahrung, (Handels-)Güter, Kleidung, Vieh und vieles mehr. Die übrigen 2% bestanden aus dem Klerus (Mönche, Nonnen und Priester) und dem Adel (Fürsten, Könige und Kaiser – ebenso jedoch auch Ritter und Co.)

Der entscheidende Faktor: Kleidung

Die meisten, die die historische Darstellung als Hobby auswählen, möchten auch, dass die Darstellung schön ist. Und vielfältig, möglicherweise auch farbenfroh. Dies – insbesondere die Punkte schön, vielfältig und farbenfroh – lassen sich nur umsetzen, wenn man den Adel darstellt. So kommt es auch zu dem genau gegenteiligen Gefühl, wenn man sich moderne Darstellungen ansieht im Vergleich zur damaligen Lebensrealität. Denn auf einem Mittelaltermarkt findet man fast nur Prinzen und Prinzessinen, Ritter, Fürsten und Könige. Diese bieten für die Darstellung viele Quellen, eine breite Palette an Farben und Schnitten und setzen einer aufwendigen und historisch korrekten Darstellung kaum Grenzen.

Die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung aus dieser Zeit trug einfache Kleidung, manche Zünfte hatten eine bestimmte Tracht. In aller Regel herrschten praktische Belange und Naturfarben vor. Die wenigen der breiten Masse zugänglichen, erlaubten und erschwinglichen Farben wurden überwiegend für besondere Anlässe (Hochzeiten, Sonntagskleidung) bewahrt. Es handelt sich dabei z.B. um Blau aus Färberwaid, oder um ein mildes Grün, welches aus verschiedenen Naturstoffen erzeugt werden konnte. Der Klerus trug schwarz, braun oder weiß.

Zum Spätmittelalter hin gewannen insbesondere die Händler mehr an Bedeutung, die eine Zwischenklasse zwischen Adel und Volk bildeten. Diese lassen sich ebenfalls gut darstellen. Leider ist das Spätmittelalter schon sehr nah an unserer gefühlten Neuzeit, und wird von vielen subjektiv nicht mehr als Mittelalter wahrgenommen.

Gemeinsam auf Viking

Blicken wir nun zum Vergleich auf die Wikinger: Deren Gesellschaftsstruktur unterscheidet sich grundlegend von der im Rest Europas vorherrschenden. Dies hat mehrere Gründe:

Es gibt so etwas wie einen Klerus nicht – diese gesamte Schicht fällt also weg. Zugang zu den Göttern hatte irgendwie jeder, und die Priester waren meist normal in der Gesellschaft eingebunden. Etwas wie einen Adelsstand gibt es genaugenommen auch nicht. In jeder Familie oder jeder Gruppe (Dorf, Gemeinschaft) gab es einen Jarl oder „Chef“. Dieser wurde oftmals gewählt, oder jemand erkämpfte sich diesen Status. Gelegentlich wurde der Stand auch vererbt.

Die erwachsenen Männer waren einen großen Teil des Jahres nicht zuhause. Sie befanden sich auf Viking (was eigentlich Handelsfahrt bedeutet, jedoch oft auch mit Plünderungen einherging) oder aber auch auf Walfang. Zuhause zurück blieben die Kinder, Frauen und Greise. Eine Herrschaftsstruktur wir im Rest Europas, in welcher ebendiese keine Rolle spielten, ließ sich hier also gar nicht durchsetzen.

Was unterscheidet die Nordmänner vom Rest Europas?

Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: Die Frauen führten eigentverantwortlich die Betriebe in Abwesenheit der Männer, ja konnten sie sogar beerben und selbst Land besitzen. Diese Mündigkeit hat es zu dieser Zeit nirgends sonst in Kontinetaleuropa gegeben. Viele konnten lesen und schreiben. Es wurde auch viel aufgeschrieben.

Was die Mode betrifft, so liegt der Fall bei den Wikingern so:

Zum einen gibt es viele gute Dokumente und Funde, die eine historische Darstellung möglich machen. Dies liegt u.a. auch daran, dass sehr viel aufgeschrieben wurde (Stichwort: Islandsagas) Zum anderen war die Mode deutlich weniger stark reglementiert als im Rest Europas. Die Kleidung war in Ihrer Grundstruktur in allen Klassen gleich. Die gesellschaftlichen Unterschiede manifestierten sich im Material (Wolle, Seide, Leinen), in dessen Verarbeitung, in den Schmuckstücken (Fibeln und vor allem die Ketten) und in der Pracht der getragenen Messer und Waffen. Durch die weitreichenden Handelsbeziehungen der Wikinger lagen viele Techniken vor, die eine große Farb- und Materialauswahl möglich machten.

Wer sich also für die Darstellung eines durchschnittlichen Wikingers entscheidet, hat deutlich mehr Möglichkeiten, als jemand, der sich für die Darstellung eines durchschnittlichen Handwerkers aus dem 11. Jahrhundert in München entscheidet. Diese Fülle an Möglichkeiten ist meiner Meinung nach einer der wichtigsten Gründe dafür, dass in unserer Gruppe bevorzugt Wikinger dargestellt werden.